Sonntag, 5. August 2007

Traditionelle Peinlichkeiten

Es war mal wieder Wochenende. Hier die unumgängliche Berichterstattung.
Freitag:
Partyabend mit Shima. Erst essen, dann Sake-Bar, dann komische Bars mit Tanzflächen in Roppongi. Wohlweislich das internationalste Viertel in Tokyo, was zu Folge hatte, dass ich lauter (man verzeihe mir dies) typisch wahrscheinlich amerikanische Assis gesehen habe, bei denen ich mich gefragt habe, was sie hier wohl tun außer nachts in Roppongi Asiatinnen anzugraben und abzuschleppen. Ich war froh als wir da raus waren und in ein Karaoketeil gestolpert sind, wo wir dann fröhlich zu dritt zu den Spicegirls-Klassikern und Whams "Last Christmas" geträllert haben. Das war ein Spaß. Das alles um 4 Uhr, irgendwann um 5 lag ich im Bett und verbrachte nachfolgenden Tag mit erneuten Sake-Kopfschmerzen bis Spätnachmittags in ebendiesem (ich würde ja gerne nein sagen. Aber sie bestellen immer für mich mit und dann - schwupps - steht ein hübsches Tablett mit Teeservice vor mir, womit ich mir aber keinen Grüntee zubereite, sondern Sake).
Samstag:
Als ich mich dazu in der Lage fühlte, aufzustehen und zu bewegen, tat ich dies und machte mich auf den Weg nach Akihabara um Geld auszugeben. In Tokyo ist es üblich, dass sich Geschäfte spezieller Branchen in einem Viertel anhäufen. Ob das Geschäftsfördernd ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall wollte ich Ipod-Shopping betreiben und machte mich deshalb auf nach Akihabara, weil da die Elektronikgeschäfte versammelt sind. Das Schild in der Ubahn sagte alles: "Akihabara Electronic Town Exit". Da ging ich raus, erlitt einen Elektronikbranchen-düdeldüdelringringdingeldingel-schrilleneonbeleuchtungs-marktschreiergebrüll-Schock und ließ allein schon um da so schnell wie möglich wieder weg zu können (ich war ja immernoch verkatert und reagierte empfindlich auf Geräusche und Lärm) mein Geld. Jetzt hab ich einen Ipod und eine Sony-Computermaus, die wie ein kleiner niedlicher Abkömmling meines Laptops aussieht (ich konnte da nicht vorbeigehen, ich hab sie sofort lieb gewonnen, als ich sie erblickte). Dann fuhr ich weiter nach Shibuya um noch mehr Geld zu lassen.
Sonntag:
Bisher eher weniger peinlich, dafür kommt's jetzt dicke. Heute habe ich mir ein großes Loch herbeigesehnt. Zum einen weil's da drin bestimmt kühler gewesen wäre als überall sonst und zum anderen, weil ich da einfach gern reinverschwunden wäre aufgrund Unwohlfühlens.
Ich fange mal von vorne an: Ich hatte heute wohl so was wie ein Date. Mit einem Freund von Shima, den ich an diesem beschriebenen Freitagabend kennengelernt habe. Problem daran: ich konnte mich eher wenig daran erinnern, ihm meine Nummer gegeben zu haben (und war etwas überrascht über den Anruf) und ich hatte das übliche Problem: ich wusste nicht mehr, wie er aussieht. So. Nun wollte mich dieser Herr also auf ein japanisches traditionelles Straßenfest mitnehmen, bei dem man wohl Yukata (Sommer-Kimono) tragen muss. Na bitte. Ich versuchte ihm schon am Telefon klar zu machen, dass ich Europäer im Kimono ziemlich panne finde, aber er war nicht davon abzubringen.
Ich bin ein guter in scheiß-Situationen-Bringer, aber ein dafür doppelt so schlechter Nein-Sagen-Könner.
Also stand ich da heut an der Bahnstation und war nach 10 Minuten an der Luft so nassgeschwitzt als hätte ich mich nach dem Duschen nie abgetrocknet, als da plötzlich ein junger Mann auf nem typisch Tokyoter Assi-Motorrad angefahren kam...mit Feinrippunterhemd und diesen saublöden Motorradhelmschalen, bei denen man auch gleich gar nichts auf den Kopf setzen könnte. Um Himmels willen. Das war dann wohl meine Verabredung. So schlecht sah er aber nicht aus. Für nen Japaner ganz cool eigentlich. Ich war ein wenig beruhigt. Also setzte ich mich auf dieses Motorradteil und wurde durch Tokyo gebraust. Schnell, chaotisch und unkontrolliert. Ich hab einfach die Augen zugemacht.
Eine Stunde später habe ich sie aus purer Beschämtheit à la "seh ich dich nicht, siehst du mich auch nicht" zugemacht. Wir waren nämlich Yukata-Shoppen. Ein schwieriges Unterfangen. Denn überall wo's vor kurzem noch billige gab, gab's heute keine mehr und wir mussten bei unerträglicher Hitze ewig herumschlappen um schließlich noch Restbestände (was zur Folge hatte, dass es ein echt hässliches Teil wurde) abzugreifen. Der junge Mann zahlte (krass) und ab ging's in die Umkleidekabine. Er sagte, das wäre wie ein Bademantel, einfach anziehen und ab dafür. Ha, von wegen. Ich hatte im Internet recherchiert und bekam leichte Panik. Männer-Yukatas, jaaa, die funktionieren so. Er war also schnell fertig. Ich nicht. Mir hat er dann irgendwann ne Verkäuferin in die Umkleide geschickt, die 15 Minuten an mir herumnestelte, während ich fröhlich vor mich hinschwitzte und mich kurz vor dem Kreislaufkollaps befand, da sie gerade damit beschäftigt war, mir mit dem Korsett-artigen Gürtel die Luft abzuschnüren. Als ich diese unangenehme Situation endlich überstanden hatte und mich tausendmal bedankt und entschuldigt hatte (hier das gleich Wort: "sumimasen", das kann ich, das sagt man dauernd), sah ich mich mit Minischritten und endsgeradem Rücken hinter dem mit großen, freien Schritten voranschreitendem Herrn Tatsu (der sein Traditionsgewand eher untraditionell mit Stars&Stripes-Flipflops und Basecap kombinierte um sich anschließend noch die Ärmel bis zur Schulter hochzukrempeln. Blöder Sack, bei mir war das nämlich unmöglich) zum Motorrad trippeln. Trippeltrippel. Hechelhechel. Schnappatmung. Und dann: zwei Affen mit Yukata-Dress aufm Motorrad. DANKE! Danke dafür, dass ich mich endlich so blöd aussehend meinen Mitmenschen präsentieren durfte.
So gings dann nach Ginza. Das teuerste Viertel hier. Und die bekannteste Einkaufsstraße. Das war das positive, da war ich nämlich noch nicht. Die Straße war gesperrt. Und ein paar Leute liefen darauf herum. Einige auch in Yukata. EINIGE. Unter diesen einigen: ich. Von wegen, da muss man so herumlaufen ("at least it's highly recommanded"), Aff! Oberaff! So...also das Festival. Ein paar Leute auf der Straße. Ab und an ein Plastikstuhlsitzgrüppchen mitten auf der Straße. Drei Pavillions mit Tombola (ich hab nen Fächer gewonnen...den ich gleich so was von benutzt habe). Und alle 50 Meter ein Plantschbecken und einige mit Wasser gefüllte Holzschalen. Meine Begleitung hat sich zu diesem Zeitpunkt schon mehrmals (ZU RECHT) entschuldigt, dass er sich vielleicht bissl besser hätte informieren sollen über dieses Festival-Ding. Bei mir hatte da aber schon lange die Wurschtigkeit und die daraus folgende Ironie eingesetzt. Gemeinsam sarkastische Witze reißen war die logische Folge und durchaus unterhaltsam. Galgenhumor nennt man so was wohl. Bei jedem Geschäft haben wir zudem ne kleine Klimaanlagenerfrischung genossen bis dann der Höhepunkt dieses Feuerwerks an Spektakeln kam: Menschen stellten sich in einer Reihe auf. Es wurde heruntergezählt durch die japanisch allseits beliebten Lautsprecher, durch die vorher noch ein Lied schalmeihte...dingel dingel klingel klingel bimmel bimmel ("spritzt Wasser auf die Straße, spritz Wasser auf die Straße" war der Text wie mir übersetzt wurde) -SPANNUNG PUR . Und dann...WOW....schütteten und spritzten sie das Wasser tatsächlich auf die Straße. Absout abgefahren. So was geiles hab ich im Leben noch nicht gesehen. Aber hey...keine Späße über Traditionen fremder Länder....das Ganze bringt nämlich Glück, hab ich mir sagen lassen. Aber damit kein Trinkwasser verspritzt wird, wurde vorher achttausendfünfhundertmal durch die geliebten Lautsprecher durchgesagt, dass das Wasser aus der Kanalisation stammt (so zumindest hat es Tatsu übersetzt. Wahrscheinlich hat er das nur getan, weil er meine nach einer Wasserschlacht lechzenden Augen gesehen hat). Als wir dann endlich in nem klimatisierten Café saßen und ich mich mit Eis vollstopfen konnte (ich arbeite ja noch immer an meiner Sumo-Karriere), fragte er, ob ich nicht doch mit zu seinem Basketballspiel kommen wollen würde. Zwar würden sich seine Mannschaftskollegen nicht mit mir unterhalten können, weil keiner Englisch könne, aber er würde bestimmt besser spielen, wenn er ein Mädchen dabei hätte, na das hatte er mir ja vorher schon geschrieben. Da hatte ich aber dankend abgelehnt. Und hach, wer könnte da ein zweites Mal nein sagen...?!?!.....ICH. D.h. ich hätte gekonnt. Normalerweise. Ich sehnte mich nämlich nach einer Dusche. Und das, seit ich morgens das Haus verließ. Aber die Aussicht alleine, ohne den auch im bescheuerten Traditionsgewand herumlaufenden Tatsu mit der Bahn heimfahren zu müssen fand ich schlimmer als nochmal die Peinlichkeit auf dem Motorrad zu teilen. Und ich dachte es würde sich bestimmt irgendwo ne Toilette zum Umziehen vorher finden lassen. Pustekuchen. Ich sagte also allen coolen Basketballfreunden in diesem scheiss bunten Bademantel hallo. Herrlich. Aber dann: ab auf die Toilette und raus aus dem Ding. Und erstmal durchatmen. Atmen kann man darin nämlich genauso schlecht wie laufen. Und dieser Gürtel mit der riesen Schleife auf dem Rücken lässt einen schwanger fühlen und schwanger verhalten. Dauernd streichelt man sich den Bauch und so. Warum auch immer. Ich war auf jeden Fall saufroh da endlich rauszukommen. Und dann hab ich dem jungen Mann beim Verlieren zugeschaut. Und mich köstlich über die wahrhaft riesigen japanischen Basketballer amüsiert, während ich mich hübsch mit meinem Tombolagewinn befächerte und in den Auszeiten auch sie, was wohl meine Art war mit ihnen zu kommunizieren. Jetzt hab ich Handgelenksmuskeln/Tennisarm, denn sobald man mit der Wedelei aufhörte, setzte sofort der Sturzbach ein. Es war widerlich. Zum Ende hin wurde ich hübsch zum Taxi geleitet und tat Entschuldigungen über den misslungenen Tag ab. Mal im Ernst. Ich musste noch nicht mal lügen. Irgendwie war's ja auch witzig. Und mal wieder unter der Rubrik "Erfahrungen" abspeicherbar. Nur dieses Gewand war unangenehm. Aber im Endeffekt ja auch wieder lustig zu sehen. Und ich hab ein Faschingskostüm for free. Dann wurde das Taxi herangerufen, dem Fahrer gesagt, wo ich hingebracht werden soll, bezahlt und die Tür hinter mir geschlossen. Ich mag diese altmodischen Höflichkeiten irgendwie. Wenn's auch unangenehm ist, alles gezahlt zu kriegen. Aber das ist hier irgendwie so und muss akzeptiert werden wie das Yukata-Tragen auf langweiligen Straßenfesten.

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