Montag, 26. Juli 2010

Noch mal Hashima Fotos

Ich habe seit einiger Zeit nach langem Warten und Hin- und Herüberlegen endlich eine Diana gekauft. Leider kann ich mit dieser Kamera wahrhaft noch nicht gut umgehen, weil ich einfach zu verwöhnt mit den vollautomatischen Digitalkameras bin, was sich gerne daran zeigt, dass ich vergesse, die Kappe vom Objektiv zu machen, was wiederum dazu führt, dass die mich begleitenden Personen mittlerweile alle "Kappe Kappe Kappe" schreien, wenn ich mal wieder versuche, trotz Kappe ein Bild zu machen. Dennoch. Ich werde langsam besser, aber eben nur langsam und deshalb sind von den geschossenen 9 Hashima-Fotos 3 gut geworden. Starke Quote, ich weiß.
Ich arbeite weiter hart an mir.



































Suchst du Ruhe auf dem Berg....

...gehst du am besten NICHT auf den Fuji.

19.30 Uhr
Wir besteigen frohgemut den Bus Richtung Fuji, der uns in 2 1/2 Stunden dorthin bringen soll. Mit uns steigen weitere 100 Menschen ein. Denn es gibt nicht wie erwartet einen Bus um halb acht, sondern vier. Wir haben zwar nicht erwartet, die einzigen mit diesem Bergbesteigungsplan zu sein. Wussten wir doch, dass man den Fuji nur in zwei Monaten im Jahr besteigen darf und auch dass der Japaner seinen Fuji geradezu vergöttert und man daher kein richtiger Japaner zu sein scheint, wenn man es nicht wenigstens einmal im Leben versucht hat. Dennoch. Ganz schön viel Menschen auf einmal.

22.30 Uhr
Die vier Busse halten auf 2305 m, lassen uns und die anderen Insassen der vier Busse heraus und wir treffen auf die Insassen zwanzig weiterer gerade eingetrudelter Busse. Zweiter Schrecken ob der Menge.
Dennoch: Lampen auf den Kopf und ab dafür durch die Nacht auf den Berg.

23.00 Uhr
Lautsprecherdurchsagen in Englisch und Japanisch schalmeien durch die Nacht mit Verhaltensregeln am Berg. Wo stehen hier Lautsprecher? Und vor allem warum? Wir sind auf einem Berg! In der freien Natur!
Aber naja, diese Natur ist eben japanische Natur.

24.00 Uhr
Ganz schön viel Leute hier.

00.30 Uhr
Im Lichtkegel meiner Stirnlampe sehe ich: schwarz. Beim späteren Herunterweg werde ich merken: das lag nicht an der Nacht.

1.00 Uhr
Die sich ballenden Menschenmassen steigen prozentual zum Toilettenbenutzungspreis an den Bergstationen.

1.05 Uhr
Keuchende Japaner links, rechts, über und unter mir. In ohrenbetäubender Lautstärke unterhalten sich drei junge Amerikaner mit erstaunlich viel "fucking" über das wenig zum Wort "fucking" passende Thema Molekularbiologie. Ich schaue nach unten und gehe stur geradeaus.

1.30 Uhr 
Ich passierte gerade eine in Erste-Hilfe-Decken eingewickelte, sich ausruhende Japanerin. An Equipment mangelt es den Japanern hier wahrhaftig nicht. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Touristen, die keinen Platz für Bergausrüstung im Koffer hatten und mit Jeans, Stoffschühchen und Tshirts, sowie ohne Wasser- oder Lebensmittelrationen hier sind. Verrückt.

1.55 Uhr
Werden irgendwie immer mehr Leute.
Musste warten bis ich zwei Schritte klettern durfte. Habe aber jetzt die 2 Meter zur nächsten Bergstation in 30 Minuten hinter mich gebracht. Ich finde das ist eine starke Leistung.

 













2.00 Uhr
Mein Ohr vernimmt das röchelnde Einatmen von Sauerstoff aus kleinen Sauerstoffspenderflaschen durch Japaner immer häufiger. Da mir unser Besuch aber vor kurzem folgendes Zitat eines nepalesischen Bergführers mitgeteilt hat: "Japanese people die very easy", heiße ich das für gut.

2.30 Uhr
Beneide die Japaner um ihre Sauerstoffflaschen, denn mir ist kotzübel.

3.00 Uhr
Habe zum ersten Mal in meinem Leben 200Yen dafür bezahlt, mich übergeben zu dürfen. Das war schön. Und ein Schnäppchen. Am Gipfel hätte es 300Yen gekostet.

3.05 Uhr
Wir stehen an. Wir stehen an, um den Gipfel eines Berges zu erreichen. Vor mir: eine bunte Menschenschlange. Hinter mir: eine bunte Menschenschlange. Ich tippe mittlerweile darauf, dass sich diese Schlange vom Anfang des Berges bis zum Gipfel ununterbrochen durchzieht.

3.06 Uhr
Aber der Sonnenaufgang ist schön. Ich beschließe also, mich umzudrehen beim Warten.















3.20 Uhr
Übelkeit lässt aufgrund des gezwungenermaßen sehr geringen Tempos: Zwei Schritte,  eine Minute warten, zwei Schritte, eine Minute warten... nach. Wir würden dies gerne mit einem kleinen Freudentanz feiern, können uns aber nicht bewegen, da wir zwischen Menschenmassen eingekeilt sind.

3. 40 Uhr. 
Wir stehen noch immer an

3.59 Uhr 
Bin fassungslos. Auf 3600m Höhe, morgens um 4 Uhr stehen Leuchtschwertschwinger und weisen uns darauf hin, besser langsam zu laufen, das sei ungefährlicher. Ich bin dankbar um diesen Tipp, denn ich wollte soeben losrennen.
Witzbolde.






























4.05 Uhr
Die Aggression meiner Begleiter hat ihren Höhepunkt erreicht. Sie beschließen, sich dem Hinweis des Leuchtschwertmannes zu widersetzen und sich wild am Rand vorbei kletternd an der Menge vorbei nach oben durchzuschlagen. Ich folge ihnen.

4.10 Uhr
Geschafft. Wir sind oben und können uns sogar noch ein kleines Plätzchen freier Resterde ergattern, um uns sitzend den Sonnenaufgang anzuschauen. Die Jungs machen sich Wasser warm, um delikate Fertigsuppen zu essen. Ich werde nichts essen, mir ist noch immer schlecht. Ich wünsche mich in niedrigere Gebiete.

























































5 Uhr irgendwas
Beschließen, den Abstieg rennend zu bewerkstelligen.

5. 31 Uhr
Finde, dass das eine gute Idee war. Denn der Weg nach unten besteht aus Geröll. Nichts als Geröll. Serpentinenförmig angelegtem Geröll. Im linken Augenwinkel kann ich erkennen, dass der Strom, der nach oben drängenden Menschenmassen noch kein bisschen geringer geworden ist. Mich wundert aber mittlerweile nichts mehr.

8.10 Uhr
Geschafft! Befinde mich dafür jetzt in ungeahnten Fußschmerzwelten.

10.00 Uhr
Sitzen im Bus und sind einstimmig der Meinung, dass das ein sehr skurriles Erlebnis war.

Freitag, 23. Juli 2010

Schildkrötenromantik

Zwar bin ich jetzt schon wieder 'ne Weile zurück in the Tokyo City, aber ich war auch mal weg . Und zwar in Okinawa. Also nicht ausschließlich da. Aber das erkläre ich noch. An dem Tag, an dem das Fahrradwunder geschah, kam ich jedenfalls zurück. Die zeitliche Reihenfolge der Geschichten hier entspricht also nicht unbedingt der Realtität. 
Alle die, die bereits die schriftlichen Ergüsse meines mir Angetrauten gelesen haben, dürfen hier aufhören oder weiterlesen, je nachdem. Inhaltlich können auf jeden Fall Ähnlichkeiten auftreten., denn wir waren ja zusammen da und haben somit auch die gleichen Erfahrungen gemacht. In der Natur der Dinge des geschlechtlichen Unterschied liegt, dass meine vielleicht etwas intensiver bzw. extremer waren. Ich denke hierbei an gewisse Lebewesen, die unseren Urlaub mit uns geteilt haben. Und da ich eine Frau bin, habe ich so manchen Besuch eben dieser mit einem leicht hyterisch angehauchtem Geräusch kommentiert. Aber nun erstmal zurück zum Anfang.

Okinawa. Kennen viele nicht. Und das ist vielleicht gut so. Oder auch nicht. Weil so keine touristische Überlaufung. Also. Japan ist lang und dünn und besteht aus vielen kleinen Inseln. Ganz im Süden besteht Japan aus vielen tropischen Paradiesinseln. Die größte davon ist Okinawa. Vielleicht noch am ehesten bekannt durch 
a) Amerikanischen Militärstützpunkt und damit einhergehende Skandale und so weiter und so fort
b) Karate Kid
Mir war Okinawa durch etwas anderes bekannt, aber ich habe es vergessen. Ich habe daher die Reihenfolge umgekehrt und mir nach Okinawa die Karate Kid-Filme angesehen. Ich habe mich allerdings noch nicht zu einer Entscheidung durchringen können, ob ich zu diesen Filmen eine Empfehlung aussprechen soll/kann oder nicht.

Also. Auf jeden Fall um Okinawa herum, oben drüber und unten drunter ist alles voll mit kleinen Inseln. Und drumherum ist nichts als türkises Meer. Und dazwischen fahren Fähren.
Wir haben uns also zwei Wochen zwischen Schule und Arbeit freigenommen, den Lonely Planet Japan gewälzt und schließlich beschlossen, in Okinawa zu landen, dann in den Norden auf die für uns interessantest klingende Insel und dann zurück nach Okinawa und von dort nach Westen auf  Miniinseln zu fahren. Gesagt getan. 
Ich war großer Erwartung. (Tropik. Sonne. Türkis. Einsamkeit....Militärbasen).
Aber irgendwie auch nicht. Weil Okinawa ist halt doch auch Japan. Und ich kenne meine Pappenheimer ja mittlerweile.

Und genau deshalb kann ich hiermit feierlich Beton-Naha präsentieren, die Hauptstadt Okinawas...
















...mit einer mäßig frequentierten Monorail mitten durch die Stadt und von da quasi direkt in den Flughafen rein....


...und dem romantischstem Stadtstrand, den ich jemals gesehen habe. Ein Strand, der für Reiseführer und Stadtbroschüren wohl gerne vom Wasser ins Landes Innere fotografiert wird. Wenn ihr jetzt die Augen schließt und euch Geräusche von Baggern und Presslufthammern und ihren lärmenden Kollegen vorstellt, dann habt ihr die Atmosphäre dieses wunderschönen und so japanisch pragmatisch gestalteten Fleckchen Erdes komplementiert. 

Genießt sie noch einen Augenblick, denn bald wird es sehr viel unentspannter, denn wir entfernen uns vom Beton und...

....nähern uns mit großen Schritten der von uns auserwählten Insel im Norden mit dem reizendem Namen Okinoerabujima. Der Lonely Planet warb mit einer Tropfsteinhöhle, atemberaubenden Stränden und einer Stimmung, die einer Zeitreise gleicht.
Wie recht er damit hatte. Der Franke in mir allerdings hat bei Betreten dieses Eilands diese blumige Beschreibung schnell und präzise in "Hier is' die Katz' gfreckt" umformuliert.
Die Zeitreise begrüßte uns in Gestalt von heruntergekommenen Häusern, 80% Leerstand und Gesichtern, die einen ansahen, als wäre man von einem anderen Planeten. Verständlicherweise. Seit dem Autoren des Lonely Planets wird sich hier wohl kein Tourist mehr hinverirrt haben. Zuvor vermutlich auch nicht.
Wir liehen uns Roller für erschreckend  faszinierend wenig Geld - eine sehr sinnvolle Anschaffung wie sich herausstellte, denn es gab ja fast nichts - und fuhren zum angepriesenen Campingplatz am schönsten Strand der Insel. Dies sollte sich bewahrheiten. Aber auch Tiere haben Geschmack...oder den Lonely Planet gelesen. Und da sich ja seit langer Zeit keine Touristen mehr auf die Insel verirrt haben, haben sich die Tiere zu Dauercampern entwickelt und reagierten ungehalten auf die Störung durch eine fremdartige Spezies. Dies hatte zur Folge, dass ich innerhalb 2 Minuten 25 Moskitostiche, das Zelt innerhalb kürzester Zeit tausende kleiner Raupen, unsere Füße Besuch von Ohrenkneifer-Armeen, unsere Gesichter Gesellschaft von unglaublich riesigen Spinnennetzen mit ebenso riesigen schwarz-neongelben oder springenden oder behaarten oder winzigen Bewohnern hatten. Die Toilettenräume waren von Kakerlaken, Faltern, Ameisen und ihren Freunden besiedelt und jeden Morgen spielten Milliarden von Zikaden ihren Freunden ein pompöses Konzert, das meine Trommelfelle zum Beben brachte, denn die Dezibelzahl dieses Konzerts übertraf die der Stadtstrandautobahnbaustelle um Längen. Dass uns tagsüber und nachts ununterbrochen ein ausgesetztes und hungerndes Kätzchen anmiaute und auch attackierte, nis aber auch nach dem wir ihr etwas zu Essen kauften, war dabei nur noch der Tropfen auf den heißen Stein.

Warum nur hatte ich das Hornissenspray umgetauscht?

Aber der Strand war wirklich schön. Schön und einsam. Alles in allem eine Freakinsel. Denn ich habe den ebenfalls verwaisten anderen Camingplatz vergessen zu erwähnen. Dieser schien irgendwann mal für einen großen Ansturm von Touristen ausgerichtet worden zu sein, begrüßte uns aber nur mit gespenstischer indisch-okinawischer Musikdauerbeschallung per Lautsprecher (Japan!) quer über das Gelände und freakigen halbverlassenen/halb noch in Benutzung befindlicher "Gaststätte".

Um uns endlich loszuwerden, heckten die Tiere einen teuflischen Plan mit einem ganzen Tag tropischen Dauerregen aus. Er fruchtete, wir hatten die Nase voll und schwangen uns wieder auf die Fähre zurück ins betonierte Okinawa. 
Nach einem Tag Militarybase-Watching ging es wie geplant weiter Richtung Westen auf eine Insel Namens Zamami. Und dort setzte sich endlich und augenblicklich das lang erwünschte Urlaubsgefühl bei mir ein. Zwar waren die Gebäude rund um den Hafen nicht unbedingt in einem fitteren Zustand als auf Okinoerabujima, aber die Personenanzahl, die mit uns die Fähre besuchte und verließ, war um einiges höher und nach einer Woche Zwangseinsamkeit freute ich mich über jeden einzelnen Menschen.
Und leider muss ich sagen, kann ich von der Woche auf dieser Insel nicht so viel berichten. Denn der Urlaub war so wie man sich einen richtigen Urlaub vorstellt: man schläft, man sitzt am Strand und stillt den nötigsten Hungertrieb. Wenn dann noch an ded Strand, der genau an den Campingplatz angrenzt, jeden Nachmittag kleine bis riesige Meeresschildkröten kommen, die sich von über ihnen treibenden Schnorchlern nicht im geringsten stören lassen. Und wenn sich dafür am anderen und ebenso wunderschönen Strand der Insel zwei Meter vor dem Strand direkt ein riesiges Korallenriff mit fantastischen Fischvariationen erstreckt. Wenn man dann auch noch mit Kleinbooten auf Nachbarinseln, bewohnt oder unbewohnt, mit ebenso großen Korallengärten direkt davor, fahren kann. Wenn es direkt am Campingplatz eine süße alte Dame gibt, die traditionelles Essen verkauft,  und im Ort ein schönes Café zum vor-der-Hitze-in-den-Schatten-flüchten mit den besten jemals getrunkenen Kokosshakes gibt. Wenn man abends am Lagerfeuer essen, sitzen und mit netten anderen Urlaubern quatschen kann. Dann, ja dann, kann man einfach nicht mehr wollen.
Außer.
Man könnte unter Umständen auf den Besuch einer Handtellergroßen, braunen, behaarten und mit Glitzeraugen versehenen Spinne verzichten, die am Vorabend erschrocken aus der Essenstüte schießt, in die man gerade das Besteck zurückplumpsen lassen wollte, um uns zwei Tage danach nachts im Zelt zu besuchen, dessen Eingänge man leider etwas offen lassen musste, weil man sonst vor Hitze nicht hätte schlafen können. 
Und hier schließt sich der Kreis dann auch wieder: Hätte ich nämlich nicht noch einmal das Licht anmachen müssen, weil ich das Anti-Juck-Mittel gegen die 143 Moskitostiche, die mein Körper auf Okinoerabujima abbekommen hat, zu pflegen, dann hätte ich dieses Monster nicht entdeckt. Und dann wäre es vielleicht nicht nur in der Ecke gesessen und wäre dann vor einer hysterischen Laura und einem heldenhaften Bernhard wieder geflohen, sondern hätte sich vielleicht noch zu mir auf mein Schlafgemach gekuschelt.
Dennoch: dieses kleine japanische Paradies, von dem wir nur einen kleinen Teil gesehen haben, ist schlicht und ergreifend höchst empfehlenswert.















Donnerstag, 22. Juli 2010

Montag, 12. Juli 2010

Sachen gibts...

Prolog:

Eines Tages im April ging ich morgens in den Hof, um mein Fahrrad zu holen, um gemeinsam mit diesem Richtung Shibuya zu radeln. Doch irgendwie fehlte beim Blick in den Hof etwas. Irgendetwas war anders. Aber was? Da kam es mir: da stand nämlich kein Fahrrad. Also zumindest nicht das, was bisher mir gehörte. "Das geht aber doch nicht. Wir sind doch in Japan. Japan ist sicher. In Japan wird nichts geklaut (mal abgesehen von meiner neu erstandenen Winterjacke, dir mir am Abend des Erstehungstages im Club geklaut wurde). Wo ist also dieses Fahrrad?" Ein ominös-verdächtiger Zettel klebte am Sattel des Fahrrads, neben das ich meines am Abend zuvor gestellt hatte...soweit ich mich erinnern konnte.
Ein Wochendende der Hoffnung, dass es sich vielleicht doch nur jemand "ausgeliehen" hat, mir eine Nachricht auf dem Zettel auf dem Nachbarfahrrad hinterlassen hat und es mir wieder zurückbringen wird, verging, bis ich doch einsehen musste, dass das wohl tendenziell eher unwahrscheinlich ist.

Ich ging also zum Koban. Kobans gibt es in jedem Viertel. Mindestens einen, meistens mehr. Meist sind die Häuschen sehr klein. Meist total runtergekommen. Mit vergilbten Wänden und Möbeln. Meist fragt man, obwohl Koban offiziell Polizei ist, doch nur nach dem Weg, weil das Tokyoter Adressensystem selbst für Tokyoter schwer zu verstehen ist. Und deshalb sehen die Koban-Leute auch meist eher gelangweilt, als aktiv aus. Zurecht. Wie gut, dass ich ihnen mit einem Diebstahl frischen Wind in den tristen Arbeitsalltag bringen werde, dachte ich, bis ich auf meine Frage, wie wahrscheinlich es denn wäre, aufgrund des strengen Tokyoter Fahrradregistriersystems mein Fahrrad wieder zurückzubekommen die Antwort: "Najaaaa, ehrlich gesagt eher gering, Fahrräder werden oft geklaut." bekam. Naja. Egal, ich füllte trotzdem Formulare aus und drückte meinen Zeigefinger wie ein Schwerverbrecher auf ein Stempelkissen und anschließend auf das Formular, um meine Angaben zu verifizieren.

Es verging viel Zeit.

Ich lieh mir das sportliche Fahrrad meiner Schwester.
Ich vermisste mein eigenes.
Ich durchstöberte Internetportale mit Gebrachtfahrrädern. Alle Schrott. Oder schon verkauft.
Ich durchstöberte Fahrradläden, aber ich hatte schon einmal viel Geld für ein neues und nicht unbedingt qualitativ herausragendes Rad bezahlt, also viel es mir schwer, das noch einmal zu tun (denn wenig kosten die dennoch nicht).
Schließlich ging ich desillusioniert in einen Gebrauchtwarenladen und kaufte eine alte Mühle für wenig, aber wahrscheinlich immer noch zu viel Geld und freute mich, dass es zumindest eine Gangschaltung hatte.
Dann kam der Segen aus Deutschland und hatte Zeit und Lust Fahrräder zu kaufen und ging an einem Montag Morgen zu einem der Fahrradsammelplätze, wo Fahrräder verkauft werden, die sie eingesammelt haben, danach aber von ihren Besitzern nicht abgeholt wurden.
Danach hatte ich ein eigenes Sportfahrrad und konnte der Schwester das Ihrige wieder zurückgeben.
Aber ich vermisste den Korb an meinem Alten zum Einkaufen.
Die alte Mühle verlieh ich an meinen Nachbarin.

Bis Samstag.

Gestern ging ich mit der Schwester Kaffee trinken. Als wir zurück wollten, erhielt ich einen Anruf der mir sagte: "Kannst du noch eine Dose Tomaten mitbringen?" Konnte ich. Aber dafür musste ich zu einem Supermarkt, den es auf dem Weg zu meiner Wohnung nicht gab. Wir mussten also kurz in die andere Richtung laufen, denn da gab es einen Supermarkt. Ich kaufte Tomaten und wir verließen den Laden. Da erblickte ich in einem der sauteuren Bezahlfahrradständer das Modell des Fahrrads, das ich auch mal besaß, an das ich mich aber nur noch schemenhaft erinnern konnte, aber nach dem ich instinktiv doch immer wieder schaute, wenn ich es erblickte.

Kurze Auflistung der Gedanken, die mir in diesem Moment durch den Kopf gingen:
"Hach, kuck mal. Sieht aus wie mein Rad.,,,,,Mooooch, mein Rad, jaaaa...das war schön damals als wir gemeinsam durch den Großstadtdschungel ritten....Verdächtig hoher Sattel....Verdächtig hoher Lenker....Sehr unjapanisch.......und hahaha, witzig, so einen grünen Aufkleber von der Hausverwaltung, den hatte ich auch mal.....Damals, als ich noch Besitzer von so einem Fahrrad war.....das ist komisch...der Aufkleber ist genauso verknickt, wie meiner damals.....verdammt....DAS IST MEIN RAD" So oder so ähnlich.

Hui, wie aufregend, was mach ich denn jetzt? "Schwester, das ist mein Rad" - "Was? Echt?" - "Ja" - "Krass und jetzt?" -  "Weiß nicht?!" - "Du musst zum Koban, schnell, am End kommt der Dieb wieder und ist nur kurz einkaufen" Daraufhin lief ich ein wenig aufgescheuchtes Huhn-mäßig umher, versuchte die Telefonnummer des nächstgelegenen Koban herauszubekommen, um schließlich doch einfach hinzulaufen, während meine Schwester tollkühn und todesmutig beim Fahrrad blieb, um es zu beschützen.

Als ich dort angekommen war, versuchte dem dort sitzenden und gerade mit Wegbeschreibungen beschäftigten jungen Mann mit schlechtem Japanisch zu erklären, was sich gerade zugetragen hatte. Der junge Mann wechselte seinen Gesichtsausdruck von ungläubig dreinguckend zu "die Alte spinnt doch", erklärte sich aber schließlich bereit, mit mir gemeinsam zum Ort des Verbrechens zu gehen. Bis dahin hatte er ellenlange Salven von unverständlichem und extrem schnellen Japanisch über mich ergossen, von dem ich geschätzte 2,3% verstanden habe. Es ist immer wieder schön, sich dumm zu fühlen.

Egal, wir erreichten das Fahrrad und die Schwester und diese übernahm glücklicherweise die folgende Konversation. Oder vielleicht eher die folgenden Konversationen. Denn die Sache stellte sich als lange und umständlich heraus. Als erstes versuchte mich der Polizist davon zu überzeugen, dass ich doch das Formular bräuchte, dass ich damals bekommen habe, als ich es registirieren hatte lassen. Das hatte ich natürlich nicht dabei. Wieso auch. Wenn sie einen nachts vom Fahrrad holen und kontrollieren, ob dieses auch wirklich auf dich angemeldet ist, brauchen sie das auch nicht, da nehmen sie deinen Ausweis und rufen irgendwo an und die sagen dann: "Das gehört einer raura kuma" und dann schauen sie auf deinen Ausweis und stellen fest, dass du das bist und dann darfst du weiterfahren. Aber jetzt war dieses Formular plötzlich ungedingt und dringend notwendig. Naja. 

Er rief dann doch irgendwann bei dieser Zentrale an und meine Schwester teilte mir derweil mit, dass sich die Kosten für den Fahrradständer mittlerweile auf 18.000 Yen belaufen hätten, weswegen die Wahrscheinlichkeit, dass der Fahrraddieb von einem kurzen Einkauf zurückkommen könnte ziemlich gegen null ging.
Da legte er auf und sagte: "Ja, also, das ist tatsächlich ihr Fahrrad". Ach was. Daraufhin meine Schwester: "Ja und jetzt? Das hat sich ja mittlerweile auf 18.000 Yen belaufen" Er: "Also ich kann Ihnen da ja jetzt nicht weiterhelfen, ich bin ja nicht von der Fahrradständerfirma. Aber am besten kommen Sie jetzt mit in meine Schrottbude (gut, das hat er natürlich nicht gesagt) um die Diebstahlmeldung rückgängig zu machen". Meine Schwester: "Ja und dann? Dann zahlen wir 18.000Yen? Das Fahrrad selbst hat doch nur 25.000Yen gekostet!" Er: "Ja, da kann ich Ihnen jetzt auch nicht helfen" Schwester: "Also gut, dann ruf ICH jetzt die Fahrradständerfirma an und frage die, was man da machen kann. Aber Sie müssen schon da bleiben und das Ganze bestätigen, sonst glauben die mir doch nicht" (Die Nummer stand in großen roten Zahlen auf weißem Grund über dem Bezahlautomaten. Warum Herr Koban nicht selbst dazu in der Lage war darauf zu kommen, diese zu wählen und den Sachverhalt zu erläutern, fragte ich mich während ich das mittlerweile quengelnde Kind schaukelte. Was ich ohne meine Schwester gemacht hätte, fragte ich mich auch, denn das Tempo und die Wortwahl des Kobanmannes hatte sich nicht im geringsten an mein Niveau angepasst. Und in genau diesem Tempo und mit dieser Wortwahl teilte er uns dann mit, nachdem er es geschafft hatte, der Firma zu bestätigen, dass wir uns das alles nicht ausgedacht haben, weil wir eigentlich nur 18.000 Yen "Zeche prellen" wollen, dass wir jetzt 20-30 Minuten warten müssten, bis ein Mitarbeiter käme, um das Fahrrad freizuschalten.

Daheim blubberte seit Stunden die Bolognese im Topf (zum Glück ist das dieser Soße sogar zuträglich, aber es fehlte die Dose Tomaten, die sich da auch noch gerne mit eingekocht hätte, denn die war ja noch in meiner Tasche), ich musste seit dem Verlassen des Cafés auf's Klo und die Ganze Prozedur zog sich aufgrund des nicht unbedingt fähig wirkenden Polizeibeamten schon seit einiger Weile hin. 

Aber es ging ja um mein Fahrrad.

Und daher warteten wir und wurden mit einem sehr schnell eintreffenden Mitarbeiter belohnt.

Was dann kam:
Ich nahm das Fahrrad vorn und schob. Mein Freund, der Kobanmann hielt hinten hoch und schob auch, irgendwann schnaubte und atmete er laut, denn zur körperlichen Fitness trägt das Weg-Erklären wohl nicht unbedingt bei.
Er redete schnell und unverständlich auf mich ein. Ich tat so, als würde ich ihn verstehen, verwünschte ihn aber innerlich.
Im Koban angekommen waren plötzlich drei weitere Beamten da, die ganz aufgeregt und angetan ob dieser interessanten Abwechslung waren, denn nach dem Weg zu Restaurants fragende Quiekjapanerinnen wurden sogar kurz vertröstet.
Wir wurden auf Klappstühle gesetzt und zum Warten verdonnert.
Eine Ausländerin fand diesen Anblick wohl so absonderlich, dass sie dachte, wir wären in Schwierigkeiten. Sie kam daher kurz hinein und fragte uns ob alles ok sei und ob sie für uns übersetzen solle. Nachdem wir dankend ablehnten, stellte sie noch kurz eine äußerst dumme Wegbeschreibungsfrage ("Wo ist der Okubo Bahnhof.......ahh, einfach geradeaus, danke") und ging dann weiter ihres Weges.
Der unfähige Kobanbeamte kam mit fünf Formularen wieder, von denen keines zu passen schien (dieser Fall scheint wohl eher selten vorzukommen), von denen er keines ausfüllte, sondern nur draufstarrte bis einer der drei anderen mit weiteren drei möglichen anderen Formularen kam. 
Der unfähige Kobanbeamte entschied, erstmal irgendwo viel herumzutelefonieren, um herauszubekommen, welches der nicht passenden Formulare am wenigsten nicht passend ist.
Der älteste und fähigst wirkende Kobanbeamte wollte wissen, ob wir einen Schlüssel hätten und nachdem wir verneinten, erhellte sich seine Miene bei folgender Frage: "Darf ich das Schloss aufbrechen" - "Oh ja bitte".
Er verschwand daraufhin und kam kurze Zeit darauf mit zwei Schraubenschlüsseln, einem Brecheisen und einem großen Hammer sowie einem noch zufriedeneren Gesichtsausdruck zurück und machte sich sofort ans Werk.
Der unfähige Kobanbeamte blätterte derweilen noch immer in nicht passenden Formularen und telefonierte ab und an mal.
Die zwei anderen Beamten standen geschäftig nichtstuend herum und unterbrachen die Warterei hie und da mal mit der Frage, ob das Fax schon piii piii gemacht hätte. 
(Das sollte wohl heißen, ob ein Fax schon angekommen sei. Wir erfuhren, dass sie das Fax aus dem Koban erwarteten, in dem ich das Rad als gestohlen gemeldet hatte. Dieser Koban ist wohlgemerkt nicht mal am anderen Ende der Straße. Aber wenn schon mal was los ist, kann man die Chance auch gleich mal nützen und das Fax mal wieder in Betrieb nehmen).
Von draußen vernahmen wir Hämmern, Klopfen und Geräusche von splitterndem Metall.
Das Kind quengelte.
Der unfähige Kobanbeamte blätterte.
Meine Blase drückte.
Das Schloss zerspang in Einzelteile, das Fahrrad war befreit.

Da.
Endlich.
Ein Anruf hatte dem unfähigen Kobanbeamten offensichtlich Aufschluss gebracht.

Er füllte plötzlich eines der Formulare aus. Aber natürlich langsam und mit äußerster Bedacht. Ich musste dann auch noch etwas eintragen. Natürlich in mir unbekannten Kanjis, was natürlich zu einem Schreibfehler fühlte, was wiederum dazu führte, dass ich alles noch einmal schreiben musste, weil Ordnung muss sein. 

Und dann - juhu - wurde mir ein Stempelkissen hingestellt und ich musste wieder mit Fingerabdrücken verifizieren. Dann strich der unfähige Kobanbeamte noch einiges auf dem Formular durch, weil es passte ja nicht so richtig, und diese Durchstreichungen musste ich ebenfalls mit meinem Fingerabdruck bedrucken. Ich wurde schon etwas übermütig und stempelte wild drauf los und entging nur knapp dem "alles noch einmal neu machen, weil Ordnung muss sein", aber ich hatte Glück. Das Papier war schwarz gepunktet. Lesen konnte man nicht mehr viel, aber ich hatte endlich auch ein bisschen Spaß gehabt (denn zu diesem Zeitpunkt waren undgefähr zwei Stunden vergangen). Und sämtliche Kobanbeamte, sogar auch der Unfähige, schienen sehr glücklich zu sein, denn ENDLICH war mal was los. Auch wenn der ein oder andere ein wenig überfordert zu sein schien mit diesem seltenen Kriminalfall.

Schluss: 

Ich bin jetzt auch glücklich. Ich besitze jetzt nämlich drei Räder.