Dienstag, 28. Dezember 2010

Farbcollagen. Alltagssymmetrien. Unbeabsichtigt.










Betonfetisch

Dass Japan eine besondere Zuneigung zu Beton hegt, habe ich ja schon des öfteren berichtet. Nichts Neues. Altbekannt. Langsam bin ich auch dran gewöhnt. Bis vor kurzem. Denn da wurde auch ich nochmal überrascht. Oder eher vollkommen begeistert. Denn ich habe den Zenit dieser Zuneigung, das Mekka der Betonfetischisten oder auch das unterirdische Betonherz Japans entdeckt.
In Saitama, nicht weit von Tokyo. Getarnt als unterirdisches Überflutungspräventionssystem. Mit fünf zylinderförmingen unterirdischen Tanks, in die jeweils ein Spaceshuttle passen würde, einem kilometerlangem Betontunnel von 10m Durchmesser und einer Auffanghalle für die Wassermassen bevor sie mit einer monströsen Turbine wieder in den Kanagawa River gepumpt werden von unfassbarem Ausmaße.
An diesem Ort muss man sich schon sehr schwer anstrengen, um nicht wie alle Mitmenschen hier der Betonsucht zu verfallen.






Freitag, 17. Dezember 2010

Welcome to Hostotown

Eine nette kleine Anekdote aus unserem beschaulichen Viertel:
Drei Hostos schwanken von ihrem anstrengenden Arbeitstag nach Hause. Ich treffe sie am Fußgängerüberweg bei uns vorne an der Straße, da fällt einer gerade über ein dort am Rand (!) geparktes Fahrrad.Er schwankt und stolpert auf die Straße, versucht seine Tasche umzuhängen (klappt nicht) und fingert gleichzeitig an seiner Hose rum. Plötzlich sehe ich Wassertropfen auf der Straße und ahne Schlimmes, da dreht er sich auch schon um und pinkelt fröhlich spritzend wie mit einem Gartenschlauch auf die Straße. Passanten springen zur Seite, sein Kumpane filmt alles mit dem Handy, aber all das hält ihn nicht davon ab, seine Spritztätigkeit im Weiterlaufen fortzuführen. Passanten springen und flüchten auch hier, denn es spritzt durchaus hoch und weit, doch sie haben's schwer, denn die Straße ist eng.

Und da ich ja vor geschätzten 10 Monaten schon angekündigt habe, mal etwas ausführlicher über Hostos zu schreiben, werde ich dies nun endlich tun, weil was kann ein besserer Aufhänger sein als diese kleine Geschichte? Und dabei sollte man vielleicht erstmal klären, was Hostos eigentlich sind.

Kurz gesagt sind Hostos die männliche Form von Hostessen. Und natürlich würde man sie Hosts schreiben und auch aussprechen, aber natürlich nicht in Japan. Da heißen sie Hostos.

Das Hostessinen-Gewerbe in Japan ist aber auch nicht das, was es in anderen Ländern ist. In Japan sind Hostessen durchaus irgendwie angesehen. Erschreckenderweise geben viele junge Mädchen im Schulalter sogar als Berufswunsch Hostess an, weil man da immer aussieht wie eine Prinzessin. Und das ist durchaus richtig. Hostessinnen hier tragen Abendkleider, haben noch aufgebrezeltere Frisuren als sowieso schon alle Japanerinnen aufgebrezelte Frisuren haben und arbeiten in Clubs bzw. Bars, in die vor allem alte Geschäftsleute zum sogenannten sanjikai oder yonjikai hingehen, was nichts anderes als die dritte oder vierte Stufe des Weggehens ist. Ja, das ist hier natürlich genau eingeteilt. Man geht erst essen, dann geht man in eine Bar was trinken, dann geht man in die nächste Bar was trinken. Immer ca. 1-2 Stunden, alles genau geregelt. Ganz besonders bei Geschäftsterminen. Und ganz besonders bei Geschäftsterminen von so reichen Geschäftsleuten, die irgendwann in diesen Prinzessinenbars landen.

Jetzt könnte man natürlich meinen, dass Hostos auch Aussehens- und Stylemäßig das männliche Pendant zu Hostessinen sind, also quasi Prinz zu Prinzessin. Aber irgendwie scheint da in der Interpretation was schief gelaufen zu sein. Denn Hostos sind weit entfernt von Prinzen und erinnern eher an eine enorme Anhäufung furchtbar schlechter Tokyo Hotel Imitationen. Oder ist Tokyo Hotel eine gute Imitation von einer Anhäufung schlechter Hostos? Man weiß es nicht so genau, aber genau weiß ich, dass sie einfach nur furchtbar aussehen. Aber wie bei allen Japanischen Stilrichtungen, gibt's da einige strenge Styleregeln, sowie Erkennungsmerkmale, die nicht fehlen dürfen. Eine kleine Auflistung:

- stark gefärbte, hoch aufgetürmte Frisur. Am besten in Form einer Palme, wobei jede einzelne Strähne mit viel Haarspray versehen und mit dem Glätteisen in die richtige Position gebracht wird. Hierbei entsteht ein palmenartiger Turm
- viel schwarze Kleidung, mit viel extra Löchern, Schlitzen, Falten, Ketten, Reißverschlüssen, Nieten usw.
- viel zu große Schuhe, gerne extra kaputt, auch schwarz, meist offen getragen
- glänzende Anzüge in schwarz oder silber
Die etwas weniger beabsichtigten, dafür aber genauso zahlreich vorhanden anderen Attribute wären dann noch:
- kreuz und quer stehende Zähne
- sehr dünne Körper
- nicht unbedingt die schönsten Gesichter, die man in Japan sehen kann

Und dennoch:
Sie sind beliebt. Ganz offensichtlich. Denn Shinjuku ist voll von ihnen. Und nicht nur Shinjuku. Sie stehen auf den Straßen, tänzeln von einem Bein mit einem zu großen Schuh auf das Andere und halten Flyer in der Hand, die sie wild andsprechend an Mädchen verteilen, zum Glück aber selten an Ausländerinnen, da fällt ihnen nur der Spruch "Helo. I need English teacher" mit anschließendem bübischen Kichern ein und mir der Gedanke "Nicht ganz unrichtig". Und gleichzeitig frage ich mich jedes Mal wieder wenn ich sie erblicke: Wer geht da hin? Welche Frau kann diese Jungs attraktiv finden? Welche Frau zahlt dafür Geld? Und das ja nicht wenig.

Nach viel gegoogle und geyoutube habe ich dann den entscheidenden Tipp zur Aufklärung von einer Freundin bekommen: "The great happiness space - tales of an Osaka love thief". Ein Dokumentarfilm über einen Hostclub in Osaka.
In diesem habe ich dann erfahren
- Was die Fotos mit den Zahlen drunter vor den Hostclubs zu bedeuten haben: Es sind Rankings! Nach denen sich die Mädchen, Damen, Frauen, die dort hingehen die Jungs aussuchen und sich dann gegenseitig die Augen vor Eifersucht auskratzen.
- Was diese Jungs so verdienen: meine Miete an einem Abend
und
- Welche Frauen denn nun deren Kunden sind. Zwar nehme ich jetzt jedem die erschreckende Lösung des Films, den ich wirklich nur sehr empfehlen kann, da man ihn 1 1/2 Stunden mit offenem Mund vor Fassungslosigkeit anschaut. Aber ich muss sie ja auch irgendwie verraten, für alle die, die den Film nicht sehen wollen, aber gerne eine Auflösung hier und jetzt haben wollen:
Es gibt wohl auch einige normale einsame Frauen, aber die meisten Kundinnen sind doch tatsächlich Hostessinen oder Prostituierte. Oder normale Frauen werden zu Prostituierten, weil sie sich sonst die Hostclubbesuche nicht mehr leisten können. Und weil sie dann frustriert wegen ihres Jobs und der Forschheit ihrer Kunden sind, gehen sie in die Hostclubs um sich von den Hostos geliebt zu fühlen, aber eigentlich nur das Geld aus der Tasche gezogen bekommen. Denn in diesen Clubs geht es wie leider so oft in Japan eigentlich nur um's Alkohol trinken und das in sehr teueren Massen. Zwischendrin spielt man ein bisschen mit den Gefühlen des jeweils anderen, geht kindisch unbeholfen körperlich miteinander um, die Mädchen kichern wie 10Jährige, die Jungs wie 16jährige Halbstarke. Als Zuschauer kommt man sich vor wie auf einer Teenagerparty, die gehörig aus den Rudern läuft.
Ein faszinierend-trauriger Geldkreislauf innerhalb eines Milieus, bei dem im Endeffekt doch die Frauen das Nachsehen haben. Obwohl auch die Hostos selbst, mal abgesehen von ihrem Einkommen, nicht wirklich zu beneiden sind, denn diese erzählen von Alkoholabhängigkeit, Leberschäden und dass sie doch eigentlich schon ganz gern eine echte Freundin hätten, aber das man den Frauen doch sowieso nicht trauen könne...traurig, aber wahr.

Und deswegen tat mir auch der Pinkelhosto aus meiner gepflegten Nachbarschaft doch irgendwie wieder leid. Ist halt doch nur ein bemitleidenswerter Mensch. Was natürlich nicht zum öffentlichen Anpinklen unschuldiger Passanten berechtigt, aber die Misere ein bisschen verständlicher macht.

Und nun noch ein paar Eindrücke, obwohl diese wirklich nur zaghaft sind, denn so richtig ins Geschehen hinfotografieren traue ich mich dann doch nicht.













































































Dienstag, 16. November 2010

Neulich auf der Straße



















Ein Musterbeispiel japanischen Problemmanagements: liegt ein Müllsack auf der Straße, stellen wir sechs monströse Pylonen drumherum. Einfach wegräumen würde nicht lang genug dauern!

Sonntag, 7. November 2010

Meine Türklingel

























...voll im Trend! Man beachte die Aufschrift.

Montag, 1. November 2010

Uah Uah hahaha

Denkt man an japanische Architektur gibt es zwei bekannte Vorstellungen:

1. kunstvolle Holzstrukturen, Reisstrohmatten, offene flexible Grundrisse, Papierschiebetüren, Pagodendächer...
2. zarte, weiße Privathäuschen, interessante Formengebung, modern reduziert,...

Die Wahrheit sieht anders aus. Nicht, dass es oben Genanntes nicht geben würde. Aber es macht doch vielleicht lediglich 7% aus. Zu den restlichen 93%, vor allem in Tokyo, habe ich vor allem zwei Theorien ausgearbeitet die ich hier gerne zum Besten geben möchte:

1. Städtebau im europäischen Sinne hat es nie gegeben, gibt es nicht und wird es nicht geben. Er funktioniert hier eher nach der Devise: hast du ein Grundstück kannst du da drauf bauen, was du willst. 
Dies, gepaart mit der mir unverständlichen Tatsache, dass Japan zu einer gewissen Zeit alles und leider wirklich alles Westliche gut fand und vor allem besser als das Eigene und dabei leider dazu neigte, vor allem schlechte westliche Dinge gut zu finden, diese über- und fehlzuinterpretieren und vor allem zu extremisieren, musste zwangsläufig zum Disaster führen. Die Tatsache, dass sich Japan in der sogenannten Bubble in einer wirtschaftlichen Überphase befand, alles nach Tokyo strömte und die Stadt anschwellen ließ ohne dass Platz, Zeit und vor allem Ideen für irgendwelche Städtebautheorien gewesen wäre, machte das Disaster dann perfekt. Und jetzt lebt man halt mit dem, was damals so dahergewuchert kam, weil einem ja eh nichts anderes übrig bleibt. Dazu kommt noch die große Liebe des Japaners zu Beton in jeder Form. Für den Japaner scheint Beton nur dann gut zu sein, wenn er in großer Masse auftritt. Altehrwürdige Glaubensformen lassen sich schließlich auch modern interpretieren und somit ist der Mensch Teil der Natur und all das, was der Mensch schafft, ist somit auch Natur und in Folge dessen ist Beton ein Teil der Natur und weil Natur toll ist, muss man sie in großen Mengen "erschaffen"...Macht keinen Sinn? Willkommen in Japan.
Manche Gebäude sehen so -Verzeihung- beschissen aus, das man sich einfach nicht vorstellen kann, dass sie tatsächlich so beabsichtigt waren. Manche Gebäude nimmt man gar nicht wahr, weil sie hinter so viel Werbeplakaten, -gestellen und Neonreklamen versteckt sind, dass sie darunter zusammenbrechen zu scheinen. Manche Gebäude haben Formen, bei denen man sich fragt, ob der Architekt, sofern es einen gegeben haben sollte, im Entwurfsmoment einen Gehirnfurz erlitten hat. Und manche Gebäude sehen so martialisch, maschinenhaft, robotermäßig aus, dass man sich fürchten möchte und sich auch die im vorherigen Satz erwähnte Frage stellt. Aber hauptsache sie sind aus Beton, weil Beton ist Natur.
Doch dann.
Dann recherchiert man in seiner Fassungslosigkeit im Internet. Gibt bei google den Suchbegriff "Gehirnfurz" ein und findet bei Wikipedia den Eintrag "Metabolismus".
Und dieser Eintrag lässt die Fassungslosigkeit noch steigen, denn in diesem Artikel steht, dass das alles keine Konsequenz von Gehirnfürzen ist, sondern pure und knallharte Absicht. Geschaffen von gar nicht so unbekannten Architekten. Architekten mit Städtebauideen (offensichtlich gab es die also doch: noch mehr Fassungslosigkeit). Städtebauideen, die versuchten, mit der anschwellenden und wachsenden Metropole Tokyo Herr zu werden. Die Idee der Metabolismusarchitektur lautet demnach wie folgt:
Es wird immer Wandlung und Wachstum in den Metropolen dieser Welt geben. Die Stadt sollte daher mit Flexibilität reagieren. Häuser und Gebäude sind nicht dafür gemacht für immer und ewig zu bestehen, sie müssen im besten Fall modular, austauschbar, erweiterbar oder ähnliches sein.
Warum jetzt diese Idee genau mit maschinenartigen Gebäuden umgesetzt wurde, verstehe ich dabei nicht so ganz und daher braute ich mir meine eigene Theorie:

2. das Land, wo Tokyo jetzt drauf steht war Schauplatz einer Schlacht von außerirdischen Robotermaschinen gegen riesige Vielbeinerrobotermaschineninsekten. Dann brach der Fuji aus ---> alle Robotermonster erschrocken ---> huch--->versteinert ---> Tokyo









Dämlich?
Ok, seh ich ein.
Aber wie bitte soll man sich sonst diese teilweise Grauenhaftigkeiten, teilweise Hübschhässlichkeiten erklären? Oder dass in einem Erbebengefährdeten Gebiet mehrstöckige Monsterautobahnen mitten durch die Stadt gebaut werden, Monsterautobahnen, deren Stahlmassen hässlich rosten und bei einem großen Erdbeben bestimmt große Freude dabei empfinden einzuknicken? Oder dass dieses Land mit seiner einzigartigen und einfach nur wunderschönen und lang ausgeklügelten traditionellen Architektur, mit dieser unglaublichen Reduziertheit und Ästhetik, sich eine Hauptstadt erschafft, die eine einzige hellgraue Betonmasse nur hier und da unterbrochen von massiven, martialischen Stahlmonstern ist? Dass sämtliche Flüsse, die Lebensqualität an ihren Ufern liefern könnten zu kleinen, dreckigen Rinnsälen hinbetoniert werden? usw. usw.























Aber das wirklich Seltsame daran ist, dass ich das doch irgendwie mag. Zwar bereitet mir gerade die Flussbetoniersache immer wieder Schmerzen. Aber die Tokyoter Betonmassen, die von oben wie ein hellgrau-pastellfarbiger Brei aussehen, die lassen in solchen Momenten dann doch irgendwie wieder mein Herz positiv hüpfen, weil das ist einfach Tokyo. Und ich mag's halt doch irgendwie. Und zum Metabolismus-Fan bin ich auch schon mutiert.