Sonntag, 2. September 2007

Meine Freundin, die Doppelmoral, und ihre Schwester, die Inkonsequenz

1. Der Krankenwagen
Ich bin großer Fan von japanischen Krankenwägen. Nicht weil sie futuristisch ausschauen, was sie in der Tat tun und was mir in der Tat auch gefällt. Nein, ich mag sie ob ihrer sagenhaften Geschwindigkeit, mit der sie durch Tokyo RASEN, um Menschenleben zu retten. Der ein oder andere mag die Ironie in diesen wenigen Zeilen schon herausgehört haben.
Japanische Krankenwägen sind die langsamsten, die ich je gesehen habe. Jeder Mensch, der ein ernsthaftes gesundheitliches Problem hat oder gar in einer lebensbedrohlichen Situation steckt, hat bei diesem Tempo keine Chance auf Rettung. Das trau ich mich jetzt einfach mal so tollkühn behaupten. Dabei könnten sie bestimmt wenn sie wollten bzw. dürften, denn sie sehen nicht nur geil aus, sondern haben zudem noch eine Lichtanlage auf dem Dach, die jede Durschnittsdisco vor Neid erblassen lässt. Ganz zu schweigen von der Soundanlage, die ebenso eindrucksvoll ist. Neben normaler Sirene gibt es da noch die von den Japanern so geliebten Lautsprecher, die den anderen Verkehrsteilnehmern mitteilt: "Ich werde nun rechts abbiegen. Bitte Vorsicht, ich werde jetzt nach rechts abbiegen". Das muss schon sein, bei DER Geschwindigkeit. Und dennoch wird vor jeder Kreuzung in die Eisen gestiegen. Oder, bei mir vor der Haustür so gesehen, angehalten und gewartet bis die Ampel auf grün schaltet.
Bei all diesem Verkehrsrauditum bin ich ja nur froh, dass die Notärzte im Auto geschützt sind: sie tragen Helme. Puuuh.

2. Das Geräusch
Bekanntlich hatte ich Schnupfen. Aber, keine Angst, ich werde hier nicht weiter nach Mitleid haschen. Und schneuzen ist hier ja ebenso bekanntlich nicht so gern gesehen in der Öffentlichkeit. Ist aber mittlerweile schon nicht mehr so schlimm wie früher, hab ich mir sagen lassen. Nunja. Egal. In meiner Bemühung, die Triefnase zurückzuhalten, achtete ich natürlich besonders darauf, zu sehen, wie die Einheimischen so ein Erkältungsproblem bewältigen. Ich fand die Lösung schnell und sie ist widerlich.
Man schnieft den Rotz (verzeiht, aber mir fällt kein appetitlicheres Wort ein im Moment) nicht nur ein bisschen nach oben, nein, man zelebriert es. Man holt aus allen Poren das letzte raus und zieht es mit ohrenbetäubendem Lärm nach oben. Mmmmmh, lecker. Wenn man niest, dann niest man auch nicht nur einfach so oder versucht es gar -wie unser einer ein wenig zu unterdrücken - nein, hier niest, nein man brüllt den Nieser in seine Umwelt hinaus. Haaappppsschuuuuuuüüüüüüü. Dabei hält man sich die Hände nicht etwa vor den Mund, nein, man streckt sie weit nach hinten von sich, damit der Nieser ganzkörperliche Ausbreitungsfreiheit besitzt. Husten funktioniert ebenso. Widerlich Geräusche machen ist beliebt. Bazillen werden in die freie Natur hinauskatapultiert. "Sollen sich doch die anderen spackige Atemmasken aufsetzen, ich muss jetzt N-I-E-S-E-N! Und nachdem ich geniest habe, hol ich die letzten Rotzreserven aus den Tiefen meines Körpers und spotze sie mit Genuss auf den Boden....so, jetzt fühl ich mich besser."

3. Das Anfassen
Bevor ich hierher kam dachte ich, dass die Menschen hier nicht so sehr auf Anfassen und Körperkontakt aus sind. Man verbeugt sich ja auch zur Begrüßung und zum Abschied, und umarmt oder küsst sich nicht, wie das bei uns mittlerweile üblich ist. Mal ganz davon abgesehen, dass diese Barriere bei jüngeren Japanern nicht mehr so ausgeprägt ist und sowieso bei Jung und Alt alle Barrieren fallen sobald ein wenig Alkohol im Spiel ist, finde ich es doch sehr seltsam, dass ein gewisser Trend unter Männern, vorzüglich bei interkulturellen Beziehungen zu bestehen scheint.
Gestern so erlebt auf einer BBQ-Party. Ich stand da also so mit einem Bekannten meiner Schwester, einem Deutschen, und habe mich unterhalten als plötzlich ein Japaner kam, mit dem wir vorher ein paar Worte gewechselt hatten, ihm kurz auf die Schulter klopfte, ein paar japanische Worte nuschelte, ihm einmal richtig fest in den Schritt griff um dann auch sofort wieder zu verschwinden. Hä? „Jaja“, sagte da Ninas Bekannter, „daran bin ich mittlerweile gewöhnt. Da Japaner durchschnittlich ja eher nen kleinen Penis haben, checken sie bei Europäern ganz gern mal die Größe mit nem ordentlichen Griff ab“. Aaaaah ja. Da bin ich ja mal froh, dass ich kein Mann bin, denn das finde ich doch etwas absurd und halte lieber dafür her, mich von angetrunkenen Japanerinnen umarmen zu lassen bzw. ihnen in ihrer Trunkenheit als Fels in der Brandung zu dienen. Von denen fasste mir bisher auch zum Glück noch keine an die Brust. Bei diesen Körperteilen ist die Größe ja aber auch offensichtlicher.

4. Zugschlafen
Auch das zählt eigentlich ein wenig in oben genannten Punkt mit hinein. Denn sonst nicht so gern berührt, gelten im Zug ja irgendwie andere Regeln. Im Zug ist alles anders. Überall sonst entschuldigt man sich wegen jeder Kleinigkeit fünf Mal. Im Zug darf man rempeln, schupsen, drängeln und auf Füße treten wie man will, entschuldigt wird sich eher selten. Zu dieser Art von „Körperkontakt“ kommt dann noch die Königsdiszipin des Japaners hinzu: das Zugschlafen. Sobald sich die Türen schließen und der Japaner sitzt, kippt der Kopf nach vorne und die Schlafphase tritt ein. Hände fallen schlaff nach unten (am liebsten auf meinen Schoß oder meine Beine), der Körper wird schwer und schwankt von einer Seite auf die andere (bevorzugt auf meine), der Kopf bollert (am liebsten auf meine Schulter) und gerne kippt dann auch mal der gesamte Körper auf bzw. über mich. Der Zug hält, die Türen stehen ein wenig offen, der schlaffe Körper richtet sich auf, kapiert, springt auf und rennt nach draußen. Ich frag mich, wie sie es immer wieder schaffen, die richtige Station zu erwischen.

5. Das Arbeitsschlafen
Ebenso gerne praktiziert. Arme auf den Tisch, Kopf druff und mal ein ordentliches Nickerchen einlegen. Oder…im Sitzen mit den Händen auf Tastatur und Maus „schein arbeiten“…regelmäßig von mir ertappt durch schubweises nach vorne und hinten kippen bzw. schwanken. Jeder macht es. Jeder außer mir natürlich. Aber niemand würde es zugeben, dass er es tut. NIEMAND.

6. Ich sehe dich nicht also darf ich machen was ich will
Gibt es Gedrängel auf der Straße oder im Bahnhof und man hat es eilig, gibt es eine gern angewandte Methode um schneller ans Ziel zu gelangen. Man befindet sich ja nicht in der gesetzeslosen Zone Zug, insofern muss man Alternativen finden, die es einem erlauben rüpelhaft ans Ziel zu kommen, ohne sich langwierig dafür entschuldigen zu müssen. Und das funktioniert mit der Methode aus der Überschrift. Hand vors Gesicht, oder Kopf nach unten neigen, Hand nach vorne strecken und zu einem Messer, das sich durch die Menschenmassen schneidet, formen und dann los! Einfach drauf los. Sieht man jemanden in dieser Haltung muss man sofort gucken, dass man auf die Seite kommt, denn er wird definitiv nicht ausweichen und zur Not auch in dich hineinrennen, denn: „er sieht ja nix“. Das hasse ich wirklich.